SWR2 Wissen: Würde, Weisheit und Verfall
Sendung am Donnerstag, 16.10.2008, 08.30 bis 8.58 Uhr
Von Georg Patzer
Schön ist das Alter, sagt der Philosoph Seneca, voller Freuden und Ruhe: „Die Früchte erlangen ihren vollen Geschmack erst in dem Augenblick, da sie vergehen.“ Cicero fand das Greisenalter angenehm, und Hermann Hesse lobt seine ganz eigene Würde. Erst im Alter zeigten sich „Augenblicke des Entzückens und der Offenbarung“, die man ohne den langen Lebensweg weder verstehen noch genießen könne. Viele Autoren schätzen und akzeptieren das Alter und erzählen in ihren Texten von seinen kleinen Freuden. Andere dagegen sehen nur noch Verfall und Zerfall. Juvenal beschreibt den alten Menschen als „entstellt und scheußlich“, sieht „ein hässliches Leder, wo früher die Haut war“. Montaigne stellt lakonisch fest: „Seit geraumer Zeit schon bin ich gealtert, aber weiser geworden bin ich sicher um keinen Deut.“ Und der Schriftsteller Philip Roth lässt in seinem jüngsten Roman den alternden Helden von der entwürdigenden Erfahrung der Inkontinenz berichten. Seit der Antike zieht das Thema Alter seine Spur durch die Literatur – als genussreicher Endpunkt oder schmerzliche Phase des Verfalls. |