In Film und Literatur stellt die Generation 50+ fast immer die Verlierer, oder sie muss sich von Jüngeren mit erhobenem Zeigefinger sagen lassen, wie sie zu leben hat. Nicht so in den kürzlich erschienenen Kurzgeschichten „Alt und frei: Stories vom Lieben und Lästern“ von Peter J. Hakenjos. Sie erzählen mit einem Augenzwinkern von der Freiheit, die das Altern mit sich bringt. Ihre mit Humor erzählte Botschaft ist, dass Altsein mit Stolz gelebt werden will. Hier eine kleine Kostprobe:
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"Die Rache" von Peter J. Hakenjos
Sie kennen doch die Typen, mit denen man es in jedem Beruf zu tun hat: die haben zwar gelernt, nicht mit vollem Mund zu reden, aber sie haben nicht gelernt, den Mund zu halten, wenn sie nichts zu sagen haben. Die wissen immer alles besser und haben genaue Vorstellungen davon, was richtig und was falsch ist. Ich war Friseurin und hatte noch ein paar Tage bis zur Rente. Regelmäßig alle drei Wochen kam genau so ein Besserwisser vorbei und hat sich die Haare schneiden und färben lassen. Wenn ich keine Zeit hatte, ging er wieder. Es musste immer ich sein. Alle haben schon gegrinst und mich frech angesehen, wenn er sich dem Schaufenster näherte. Er war pensionierter Lehrer und hat seine Schüler, die dazu verdammt gewesen waren, ihm zuzuhören, vermutlich sehr vermisst. Wenn er bei mir saß, hatte er sofort ein Thema. Das hat angefangen beim Sinn des Lebens, ging über die Rolle des Papstes in unserer Gesellschaft bis hin zur bevorstehenden, wirtschaftlichen Katastrophe und ihren Ursachen. Er hat geredet, geredet, geredet. Anfangs habe ich versucht, so schnell wie möglich zu arbeiten, um ihn wieder los zu werden. Aber die Chefin hatte das schnell bemerkt und ihr liegt natürlich daran, die Kundschaft zu halten. Bist du nämlich in einer Viertelstunde fertig, dann ist schwer zu vermitteln, warum die Behandlung vierzig oder mehr Euro kosten soll. Also musste ich da ein wenig schnippeln und dort ein wenig kürzen, Zeit schinden und dabei dieses Gesäusel anhören. Mir hat seine Familie leid getan, die ihn ständig ertragen musste. Ich verstand echt nicht, warum er ausgerechnet nur zu mir kam. Aber der Typ war wie eine Katze. Die springen auch am liebsten zu denen auf den Schoß, die es am wenigsten mögen. Verschärfend kam dazu, dass er eigentlich graue Haare gehabt hätte, sie aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht nachvollziehen konnte, färben ließ. Aber bitte, es ist nicht meine Sache, eine Typberatung zu machen, vor allem dann nicht, wenn ich nicht gefragt werde und die Beratung geschäftsschädigend wäre. Und so habe ich ihm alle drei Wochen sein exkrementfarbenes Mittelbraun verpasst, obwohl nur ein winziger, grauer Haaransatz zu sehen war. Der Kunde ist König und ich werde auch dafür bezahlt, den schlechten Geschmack der Kunden zu ertragen. Selbst wie ich schneiden sollte, hat er mir erklärt: da ein wenig mehr, dort eine Kurve, die aber nicht zu eckig sein durfte, die Ohren frei aber nicht zu frei. Ich habe es mir immer und immer wieder angehört und mit Gleichmut so geschnitten, wie ich gedacht habe, dass es passt. Eines muss ich sagen, er hat sich danach nie beschwert. Eine Tortur war er für mich trotzdem. Aber dann kam meine letzte Woche! Die Rente war eingereicht und der Sekt kalt gestellt. Er näherte sich gemächlichen Schrittes dem Laden. Sein freudig erwartungsvolles Lächeln war schon von weitem zu erkennen. Als ich ihn sah, musste ich grinsen und dachte: „Junge, jetzt ist Showtime!“. Den routinemäßig schadenfrohen Blick der Kolleginnen, das helle Bing-Bong der Ladentür und er steht wie immer verlegen lächelnd vor mir. Ist es meinen Kolleginnen aufgefallen? Dieses Mal habe ich nicht die Augen gequält nach oben verdreht. Das Schneiden lief wie immer. Er hatte einen Vortrag über die miserablen meteorologischen Vorhersagen, bedingt durch ein zu weit gestricktes Netz von Messstationen, für mich auf Lager. Doch meine Stunde kam. Er wollte die Färbung. Also noch einmal den Kopf über das Waschbecken und gefärbt.
Schweigen.
Die Chefin schaut mich an. Ich schaue die Chefin an. Der Kunde schaut sich an. Die Kolleginnen schauen mich an. Dann schauen sie wieder ihn an. Die Chefin schaut ihn an.
Da blickt er mich an. Ich schweige. Dann beginne ich haltlos zu lachen. Er schaut sich an, schaut noch einmal mich an und lacht mit. Uns beiden kommen die Tränen. Das punkige Rot sah irre auf seinem alten Kopf aus. Die Chefin hat mitgelacht, gequält zwar, aber sie hat gelacht, während die Kolleginnen jetzt auch nicht mehr an sich halten konnten.
Das Angebot der Chefin, ihm sofort seine alte Farbe wieder herzustellen, hat er abgelehnt, aber von ihr gefordert, dass ich ihn zur Strafe in das benachbarte Café begleite, um mich mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Den Schneid hatte ich ihm nicht zugetraut. Sie konnte nicht ablehnen. Wir haben dort noch herzzerreißend miteinander gelacht und die Kellnerin und die paar Gäste an den Nachbartischen haben mitgelacht. Er hat mir gebeichtet, dass ihm graue Haare eigentlich viel besser gefallen hätten, er aber die Zeit mit mir genoss und die Behandlung durch die Färbung länger gedauert hätte. Aus Verlegenheit und weil ich nie etwas gesagt hätte, hätte er immer so viel reden müssen. Als er das sagte, hatte ich gerade die Kaffeeasse angesetzt und mich verschluckt. Dann sind wir in den Laden zurückgegangen und haben das Malheur korrigiert.
Das war vor zwei Jahren. Heute leben wir zusammen und verstehen uns prächtig. Ab und zu hat er zwar noch seine Logorrhoe, seinen Rededurchfall, aber damit kann ich jetzt gut umgehen. Besser ein Mann redet zu viel, als dass er schweigt.
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Die Kurzgeschichte ist erschienen in: "Alt und frei: Stories vom Lieben und Lästern",
Edition_BoD, Peter J. Hakenjos, ISBN 978-3-8448-9089-1, 116 Seiten, 7,90 €
Weitere Veröffentlichungen von Peter J. Hakenjos:
"liebe - wege - augenblicke", ISBN 978-3-8423-7072-2 Gedichte |