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"Politisch korrekt"
Eine Glosse unseres Lesers Günther Dressler

Manchmal sieht sich der eine oder andere respektive die eine oder andere mit einer Situation konfrontiert, die ihn oder sie darüber nachsinnen lässt, was eine Wohlstandsgesellschaft voller Gleichgestellter erstrebenswert macht. Da führt ein Einheimischer der Stadt P. morgens seinen Hund aus. (Es könnte auch eine Hündin gewesen sein.) In der Einhardstraße zu P. ist es beschaulich, nur die vielen parkenden Autos stören. Autos haben ja heutzutage die exotischsten Namen. Unser Spaziergänger schreitet die Reihe der Fahrzeuge ab und spricht vor sich hin: Aygo, Twingo, Meriva, Corsa, Fiesta, Fabia, Modus, Golf, Megane, Astra, Polo, Zafira, Mondeo, Corolla, Octavia, Avensis, Laguna, Touareg. Einige Autos weisen sich nur mit Buchstaben und Zahlen aus: A4, X5, SLK. Es sind solche von Audi, BMW und Mercedes. Die meisten Autonamen enden mit a und sind demnach weiblich, in der Mehrzahl aber Produkte ausländischer Hersteller. Deutsche Autos sind durchweg männlich, auch die hier parkenden Volkswagen Golf, Polo und Touareg. Ob man sich in deutschen Automobilkonzernen bei der Namensgebung geschlechtsspezifisch nicht stärker öffnen sollte? Denn der Autoverkehr hierzulande wird immer weiblicher. Nach einer Studie des ACE (Auto Club Europa) verfügten zum Stichtag 1.1.2010 im bundesdeutschen Durchschnitt 374 von 1000 volljährigen Frauen über einen eigenen Pkw, und insbesondere die jüngeren weiblichen Jahrgänge holen nach dieser Statistik mächtig auf. Dass die Karlsberg Brauerei ein auch von Frauen geschätztes Wellnessbier unter dem Namen Namen Karla vertreibt, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

Zum Geschehen aber: Unser Augenmerk ist an diesem Morgen auf zunächst zwei Verkehrsobjekte gerichtet: einen mittelgroßen dunkelgrauen Opel namens Meriva und einen leuchtend gelben Kleinstvolkswagen mit Namen Fox. Dieser wartet auf den Parkstreifen, den Meriva zu verlassen eben sich anschickt. Doch der Fox-Insasse wird seines Wartens nicht froh. Wir wollen’s nicht glauben: Kaum ist die Meriva auf den Fahrdamm ausgeschert, kommt ein drittes Fahrzeug, eine, jawohl eine Mercedes angebraust und besetzt den Streifen, auf den der Fox das Vorrecht zu haben wähnt. Was empfindet die Durchschnittsbürgerin, der Durchschnittsbürger, wenn sie oder er so etwas mit ansehen muss? In beiden Geschlechtern regt sich Protest. Keine Frage: Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen, die ein geduldig erworbenes Vorrecht missachten, handeln unanständig.

Moment! Wohl können wir von einem Verstoß gegen die guten Sitten sprechen. Wie aber ist die Rechtslage? Hat der/die Handelnde, wie oben geschildert, das Recht verletzt? Hat eine Wartende, hat ein Wartender nach Recht und Gesetz denn ein Vorrecht erworben zur temporären Nutzung einiger Quadratmeter öffentlichen Grundes, etwa eines Parkstreifens? Wir sollten uns kundig machen, bevor wir ein abschließendes Urteil fällen.

Die Person im Mercedes, männlich, rechtfertigt ihr Verhalten mit der Redewendung „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Lässt erkennen, sie verfüge über einen bildungsgestützten Sprachschatz. Die Person im VW Fox, gleichfalls männlich, ihrem Äußeren nach ein Studierender, zeigt sich unbeeindruckt und führt mit einiger Logik ins Feld, nicht wer zuerst komme, habe das Vorrecht, sondern der- oder diejenige, der/die zuerst da gewesen sei. Beider Standpunkte sind unvereinbar. Der Mercedes-Fahrer wendet sich ab und geht fort, der Fox-Fahrer kehrt kopfschüttelnd zurück zu seinem Auto und wirft sich hinein.

Wie wohl die meisten Leserinnen und Leser dieser Kolumne (Mercedes-Fahrerinnen und -Fahrer verständlicherweise ausgenommen) sympathisiere ich eher mit dem benachteiligten jungen Menschen im VW Fox. Doch ich behalte mir vor, die Straßenverkehrsordnung einzusehen und mich erst dann verbindlich zur Sache zu äußern.

Gegen Mittag am Marienplatz, Stadtmitte, den Sommer über zu gut einem Fünftel betischt und bestuhlt. Was in der FußgängerInnen-Zone zusammengekauft wurde, hier stellen Konsumentinnen und Konsumenten ihre Tüten ab und genehmigen sich eine Erfrischung. Ich entdecke den jungen Mann aus dem Fox. Er ist im Gespräch mit einer leger gekleideten männlichen Gestalt um die vierzig. Sprechen sie über das Missgeschick beim Parken am Morgen? So sieht es aus. Beide Männer wirken mit sich und der Welt zufrieden. Ich möchte etwas zu trinken bestellen: „Herr Ober, wir hätten gern ...!“ Die Freundin am Tisch fällt mir ins Wort: „Der Herr Ober ist out. Du würdest doch auch nicht nach der Frau Oberin rufen. Für Servierkräfte genügt ein ‚Hallo’.“ Recht hat die Gute in der Gesellschaft der Gleichgestellten: „Hallo ... hallo ... hallo ... ja doch, Sie da! Due Espressi, per favore!“
 
Eintrag vom: 09.06.2011 Autor: Günther Dressler




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