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Industrie profitiert von einer starken Marke Schwarzwald
Identität und Begehrlichkeit einer Region sind sowohl für den Tourismus als auch für die Wirtschaft ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. In Zeiten der Umbrüche suchen Menschen Orte und Erlebnisse, die Identität und Geborgenheit stiften, sinnliche Erfahrungen ermöglichen, Geschichte atmen und Geschichten erzählen. Der diesjährige Schwarzwald-Tourismuskongress der Industrie- und Handelskammern im Schwarzwald (IHK) und der Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) galt der Frage, wie Industrie und Tourismus im Schwarzwald noch mehr voneinander profitieren können.

Justiz- und Tourismusminister Guido Wolf betonte in seinem Grußwort die Bedeutung der Verbindung von „Industrie(kultur) und Tourismus“. So lautete das Thema der gemeinsamen Veranstaltung von IHK und STG am 9. Oktober 2017 in der „Auto- und Uhrenwelt Schramberg“. Überschrieben war der Schwarzwald-Tourismuskongress 2017 „Wir sind Schwarzwald“ mit „Zweiter Akt: Tradition trifft Innovation“.

Die Verknüpfung des innovativen Potenzials der Region mit der touristischen Entwicklung und der „Weltmarke Schwarzwald“ könne – so der Minister – „Pioniergewinne erschließen und auf potenzielle Investoren positiv wirken“. Schramberg sei mit seinen Industriekultur-Museen ein „pfiffiges Beispiel“, wie leerstehende Industriegebäude für den regionalen Tourismus attraktiv sein können. Innovation sei nicht nur in technologischer Hinsicht ein Schlüsselelement für den Erfolg in einem zunehmend dynamisierten Wettbewerb. Der Innovationswettbewerb strahle auch auf den Tourismus aus.

Die Digitalisierung der Wirtschaft werde auch im Tourismus zu ähnlich tiefgreifenden Veränderungsprozessen führen wie in der Industrie, betonte der Minister: „In der Digitalisierung sehe ich viel Potenzial für den Tourismus im Land, um Tradition und Moderne miteinander zu verbinden.“

Was in der Konsumgüterindustrie und im Onlinehandel dank eines ausgefeilten digitalen Datenmanagements schon zur Kundenprofilierung und Bedienung mit maßgeschneiderten Angeboten gang und gäbe ist, könne „auch im Tourismus dazu beitragen, Innovationen anzuschieben und Kosten einzusparen“. Angesichts der Digitalisierung und des erforderlichen Datenmanagements sei aber „endgültig kein Platz mehr für Kirchturmdenken“.

Auch bezogen auf den Fachkräftemangel sowie die Optimierung und Effektivierung betrieblicher Prozesse sei „für die mittelständisch geprägte Tourismusbranche im Land der Anschluss an die Digitalisierung unabdingbar“.

Für 2018 kündigte der Minister deshalb einen „Ideenwettbewerb zu innovativen und digitalen Projekten an, um beispielhafte Leuchtturmprojekte im Bereich Smart Tourismus zu generieren“.

Was macht den Schwarzwald zum Innovationsraum?

Vor rund 160 Touristikern, Unternehmern und Verbandsvertretern betonte Dr. WolfRüdiger Michel, Landrat des Landkreises Rottweil, in der Diskussionsrunde die Notwendigkeit permanenter Innovationen. Nur so hätten sich aus der vor 40 Jahren zusammengebrochenen Uhrenindustrie bedeutende Unternehmen der Medizintechnik, der Elektronik und der Feinmotorik entwickeln können. Michel: „Es geht darum, sich ständig neu zu erfinden und auf Entwicklungen einzugehen, um sich die Zukunft zu sichern.“

Philipp Hilsenbek von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg wies darauf hin, dass in einer Region, die von Industrie und Tourismus gleichermaßen geprägt ist, auch die touristischen Angebote passend zu den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden müssen. So sei beispielhaft, wie der neue ThyssenKrupp-Testturm für Aufzüge in Rottweil oder die früheren Industriebauten von Junghans Ziel von Industriekulturtourismus werden können.

Hansjörg Mair, seit September Geschäftsführer von Schwarzwald Tourismus, erläuterte seine Vision, den Schwarzwald zu „Deutschlands begehrtestem Lebens- und Erlebnisraum“ zu machen: „Wir müssen die Region so gestalten, dass die Einwohner gerne hier leben. Daraus erwächst ein authentisches Lebensgefühl, von dem alle profitieren und das den Urlauber am Ende sagen lässt: Da würde ich auch gerne leben!“

Hauptgeschäftsführer Martin Keppler von der IHK Nordschwarzwald stimmte ihm zu: Es gehe darum, Umwälzungen in einer Region gemeinsam zu gestalten. Industrie und Tourismus profitierten gleichermaßen davon, wenn eine Region begehrt ist. Er appellierte an die Vertreter der Kommunalpolitik, Investitionen und Veränderungen aktiv und organisiert mitzugestalten. Investoren legten zunehmend Wert auf schnelle Entscheidungen. Sie wollen gefördert und begleitet werden.

Junghans-Geschäftsführer Matthias Stotz unterstrich, dass auch Produkte wie Uhren Ausdruck eines Lebensgefühls sind, Werte verkörpern und begehrenswert sein müssen. Er kündigte an, dass 2018 der weltberühmte „Junghans-Terrassenbau“ als Museum wieder geöffnet werde. Der 1918 eröffnete architektonisch einzigartige Bau des Industriearchitekten Philipp Jakob Manz stand 25 Jahre leer. Künftig sollen sieben der neun Terrassen die Geschichte der Schwarzwälder Uhrenindustrie und Industriearchitektur zeigen.

Schwarzwald ist Lebensraum, Arbeitsplatz und Urlaubsort zugleich

„In Zeiten der Umbrüche suchen Menschen Orte und Erlebnisse, die Identität und Geborgenheit stiften“, erklärte Magister Andreas Reiter vom ZTB Zukunftsbüro Wien in seinem Impulsvortrag „Zukunft braucht Herkunft – der Schwarzwald als Lebensraum, Arbeitsplatz und Urlaubsort“.

Zur Identität einer Region tragen Bevölkerung, Unternehmen, Kreativ-Szene, Investoren, Institutionen, die touristischen Anbieter und die Touristen gleichermaßen bei. Begehrlichkeit entsteht durch Emotionen, Erlebnismöglichkeiten, Geschichte und Geschichten, die mit der Region verknüpft sind. Alles zusammen ist in einer Marke quasi codiert.

Es genügt nach seiner Einschätzung nicht, eine starke touristische Marke wie „Schwarzwald – herz.erfrischend.echt.“ zu haben. Sie müsse auch zum Bezugspunkt der regionalen Identität werden. Unter der Obhut der Schwarzwald Tourismus GmbH als „Kurator“ der Marke müsse sie die Region in Szene setzen. Reiter: „Die Marke Schwarzwald nimmt sich als ‚Produkt‘ zurück, um dann ‚als bedeutungsvolles Erlebnis umcodiert‘ die Herzen der Urlauber und der Bevölkerung zu erobern.“

Natur wird zum Projektionsraum und Fluchthelfer aus der digitalen Moderne, zum „Resonanzraum fürs Ich“. Der Mensch suche immer mehr nach „multisensorischen Erlebnissen“: Anfassen, etwas berühren, sei für Menschen gleichbedeutend mit Aneignung und löse ein Gefühl des Eigentums aus.

Reisende – so Reiter – wollen Erinnerungen sammeln, sich durch Erlebnisse inspirieren lassen und sich verändern können. Neben Essen und der Inszenierung des Körpers sind die Freizeiterlebnisse wesentlich für das, was ein Mensch als seine „Identität“ definiert.

Erlebnisse sind den heute jungen Menschen wichtiger als Produkte, das Besitzen von etwas gelte weniger als die Gewissheit, bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können. Auch ein Ort sei für die soziale Identität junger Menschen heute erst dann von Bedeutung, wenn er als „Magic Place“ für Fotos oder als Instagram-Spot taugt.

Der moderne Mensch suche nicht eine bestimmte Landschaft oder Sehenswürdigkeit, sondern Erlebnisräume, die aufgeladen sind mit Geschichten und Emotionen. Das gelte nicht nur für touristische Ziele, sondern auch für seine Arbeitsumgebung und seinen Lebensraum.

Angesichts dieser Anspruchshaltung junger Menschen komme der regionalen Entwicklung des ländlichen Raumes und der Begehrlichkeit der Region besondere Bedeutung zu. Der Tourismus müsse die Region zu einem attraktiven Freizeitraum machen und sei Marken-Botschafter. Die Unternehmen müssten dafür Sorge tragen, dass die einheimischen Talente einen Arbeitsplatz finden und die weggezogenen „Ausheimischen“ wieder heimisch werden können.

Aktuell leben etwa ein Viertel der Deutschen im ländlichen Raum, um 2050 Jahren werden es nur noch etwa 15 Prozent sein. Aber Kreative ziehen aufs Land, Arbeit und Freizeit gehen ineinander über. Es gelte deshalb „kreative Milieus“ zu schaffen und nicht mehr gebrauchte Standorte industrieller Produktion zu „transformieren“, zu neuen Kraftorten oder zu Ideenschmieden umzugestalten oder sie mit neuer Bedeutung aufzuladen.

Unter den gegebenen Bedingungen kommt nach Reiter dem Tourismus eine starke Binnenmarketing-Funktion zu: Er muss die Akteure in Netzwerkstrukturen einbinden, Identitätsprozesse gestalten, die Themenführerschaft übernehmen und die regionale Lebensqualität mitgestalten und die Marke ausgestalten.

Reiter: „Die starke Marke ‚Schwarzwald – herz.erfrischend.echt.‘ zieht als Lokomotive den Zug, welche Wagen dahinter gespannt werden, muss immer wieder aufs Neue definiert werden.“
 
Eintrag vom: 16.10.2017  




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