von Irene Langemann
Kinostart am 17. Januar 2013
Der Film „Das Lied des Lebens“ begleitet den Komponisten Bernhard König dabei, wie er Menschen ab 70plus zu neuem Leben und Glück durch Singen und Musizieren verhilft. Anhand biographischer Interviews entwickelt er aus den persönlichen Träumen und Traumata jeweils das Lied ihres Lebens. Eine erblindete Psychologin wird zur Pianistin in der Essener Philharmonie. Ein halbseitig gelähmter Akkordeonspieler wird mit dem virtuosen Quartett „Uwaga!“ vital und frisch. Eine Dame, die als 14-jährige bei der ersten Liebe schwanger geworden ist, findet, unterstützt von den Neuen Vocalsolisten Stuttgart, die Formel ihres Lebens: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Davon wünscht man sich mehr auf Rezept.
Die Idee zum Film "kam von dem Komponisten Bernhard König, der meine Musikfilme schätzt. Sein Wunsch war, die private und intime ‚Musik vor Or‘, die er in einem Stuttgarter Altenheim mit Senioren erarbeitete, in einer filmischen Beobachtung festzuhalten. So würden auch Außenstehende an diesen berührenden Begegnungen teilhaben können. Es bot sich außerdem seine Arbeit mit dem „Experimentalchor Alte Stimmen“ in Köln an, den er zusammen mit den Kolleginnen Ortrud Kegel und Alexandra Naumann gegründet hat. Schon beim ersten Probenbesuch war ich fasziniert von dem Ideenreichtum der Musiker und der Freude der Chorsänger am musikalischen Experiment. Das Klischeebild – „Alte Leute singen Volkslieder“ war weggefegt." Director’s Statement
Bernhard König über seine Projekte „Alte Stimmen“ und „Deutsche Weisen“:
"Die Entstehungsgeschichte dieses Projektes reicht weit zurück. Bereits während meines Kompositionsstudiums in den frühen 90er Jahren produzierte ich ein O-Ton-Hörspiel mit den Stimmen von Altenheimbewohnern. Dabei faszinierte mich von Anfang an die Expressivität und Einzigartigkeit dieser „faltigen“, mal dünnen oder brüchigen, mal vollen und warmen Stimmen. Für eine direkte musikalische Zusammenarbeit, die über das bloße Dokumentieren hinausgegangen wäre, hätte mir zum damaligen Zeitpunkt das Handwerkszeug gefehlt – doch meine Neugierde war geweckt.
In den folgenden Jahren hatte ich reichlich Gelegenheit, als Komponist und Musikvermittler mit den unterschiedlichsten Zielgruppen zu arbeiten. Die maßgebliche Frage war dabei stets: Wo wird Musik gebraucht? Wo existiert in dieser Gesellschaft ein Bedarf an „neuen Tönen“, zu dem ich als musikalischer „Handwerker“ und Anstifter etwas beisteuern kann?
Lediglich für eine vertiefte musikalisch-künstlerische Zusammenarbeit mit „den Alten“ wollte sich lange Zeit kein rechter Anlass finden. Wann immer ich im Gespräch mit Auftraggebern vorsichtig auf die Zielgruppe der über Siebzigjährigen zu sprechen kam, erntete ich verständnisloses Kopfschütteln: Senioren haben wir doch mehr als genug in unseren Konzerten sitzen – wozu da noch gezielte Angebote?
So war es ein besonderer Glücksfall, dass die Stuttgarter Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung mir 2010 den Auftrag für ein mehrjähriges künstlerisches Forschungsprojekt erteilte, das – anders als die Mehrzahl meiner sonstigen Aufträge – diesmal nicht auf ein spektakuläres Konzert-Event oder auf die Rekrutierung von Konzertpublikum zielte, sondern dessen Zielsetzung schlicht lautete: Komponiere für alte Menschen. Erfinde Musik für sie und mit ihnen. Probiere aus, was geht.
Gemeinsam mit dem Stiftungskuratorium entwickelte ich den Plan, mich an drei verschiedenen Orten drei höchst unterschiedlichen Daseinsformen von „Alter“ zu widmen: In einem Stuttgarter Altenheim mit mehr als 150 Bewohnern. In einem Hospiz mit acht stationären Plätzen. Und, last not least, in einem „Experimentalchor für alte Stimmen“, den ich zusammen mit meinen Kölner Kolleginnen Ortrud Kegel und Alexandra Naumann ins Leben rufen wollte.
An all diesen Orten sollte gemeinsam, ohne stilistische Scheuklappen, nach einer Musik gesucht werden, die das jeweilige Gegenüber – sein in Jahrzehnten gewachsenes Ausdruckspotential, seine Biographie, seine körperlichen Handicaps – konsequent in den Mittelpunkt stellt. Das kann zum Beispiel bedeuten: All die stimmlichen Veränderungen, die es im Alter zweifellos gibt, sollen nicht kaschiert oder „wegtrainiert“ werden, sie sollen nicht als ein Defizit erlebt werden, sondern als ästhetischer Gewinn. Noch größer wird dieser Gewinn, wenn zur Expressivität auch noch der Erfahrungsschatz des Alters hinzutritt. Zusammen mit der Fotokünstlerin Jane Dunker (die auch die Bilder zu dieser Pressemappe beigesteuert hat) sammele ich seit einigen Jahren in ganz Deutschland „Liedergeschichten“ und „Lebenslieder“: Lieder oder Melodien, die für einen einzelnen Menschen zu einem Stück eigener Lebensgeschichte geworden sind und untrennbar mit einer ganz besonderen Erinnerung verknüpft sind: Erste Verliebtheit oder traumatische Abneigung. Tiefe Trauer oder überschäumende Lebenslust. Inbegriff glücklicher Kindheit oder beklemmender Anklang an dunkle Zeiten.
In unserem gemeinsamen Projekt „Deutsche Weisen“ haben Jane Dunker und ich mehrere hundert solcher Geschichtenerzähler in Bild und Text porträtiert: Vom Kindergartenkind bis zur Greisin, vom Operntenor bis zum Obdachlosen, vom „Promi“ bis zur „Illegalen“.
Irene Langemanns Dokumentarfilm setzt zu einem Zeitpunkt ein, wo sich diese beiden Projekte miteinander kreuzen: Wo die Expressivität der „Alten Stimmen“ zum Einsatz kommt, um den eigenen Lebensliedern und Liedergeschichten eine klingende Form zu geben. Die Mitwirkenden bringen also nicht nur ihre Musikalität und ihren besonderen Ausdruck mit ein – sie werden auch zu Co-Autoren des kompositorischen Prozesses."
Der Film ist eine Koproduktion von Lichtfilm GmbH mit dem WDR in Kooperation mit ARTE. Er wurde von der Film und Medienstiftung NRW gefördert. |