Er war ein Zugewanderter und hat sich in Sachsen mit prächtigen Bauten verewigt
- Ein Bericht als Reisetipp von unserem Leser Günther Dressler -
Wohlhabend waren sie einst gewesen, die Pöppelmanns im westfälischen Herford; jetzt, nach dem 30jährigen Krieg, war ihnen nur ein kleiner Laden geblieben. Sohn Matthäus Daniel sah sein Glück anderswo. Mit 18 Jahren und ein wenig Geld im Beutel sagte er im Jahr 1680 seiner Familie Lebewohl und reiste nach Dresden. Dort werde kräftig gebaut, war zu hören, und Bauen, die Architektur, war Pöppelmanns Lebenstraum. Das Dresdner Oberbauamt stellte ihn ein – als unbezahlte Hilfskraft. Der Anlernling aus Westfalen hielt Augen und Ohren offen, diente sich hoch und wurde sechs Jahre später zum Baukondukteur befördert.
Doch sein Salär reichte vorne und hinten nicht. Er brauchte ein zweites Standbein – besorgt sich die Lizenz, Bier und Wein auszuschenken. Im Oberbauamt ist er hauptsächlich mit Abbruchprojekten und Kostenkontrolle beschäftigt, Aufgaben, die ihn nur mäßig reizen. Pöppelmann, bald Vater von sieben Kindern, leiht sich Geld, entwirft ansehnliche Privathäuser und verkauft sie mit Gewinn. So lässt sich die Haushaltskasse aufbessern. Nur der erstrebte Aufstieg im Oberbauamt, der bleibt ihm versagt.
Es kam das Jahr 1705. Pöppelmann, 43 Jahre alt und 25 Jahre in Diensten der sächsischen Baubehörde, wird zu seinem obersten Dienstherrn ins Residenzschloss bestellt. Friedrich August I. (der Starke), Kurfürst von Sachsen und König von Polen, mustert ihn: „Er soll ein tüchtiger Mann sein, wir wollen ihn zum Landbaumeister befördern. Unser Schloss ist zu klein geworden, wir brauchen ein neues. Traut er sich einen großen Entwurf zu?“ Pöppelmann verbirgt seine Freude, gibt sich gelassen: „Gewähren Sie mir freie Hand, Majestät, und ein wenig Zeit.“
Statt in Holz aus Elbsandstein
Als Friedrich August I. 1694 die Regentschaft übernahm, war Dresdens Stadtbild noch von Holzarchitektur geprägt. Auf seinen Lust- und Bildungsreisen in europäische Metropolen hatte der Kurprinz die großartigen Bauwerke der Fürsten und Könige bewundert. Da wollte er mithalten können, wollte in Stein bauen, seine Residenz nach besten französischen und italienischen Vorbildern gestalten, ja diese noch übertreffen. Einen sinnesverwandten, zupackenden Schöngeist, den brauchte er jetzt. Der Kurfürst bewilligt 1000 Taler und schickt seinen Baumeister zu Studien nach Prag, Wien, Florenz, Rom, Paris. Pöppelmann nimmt in sich auf, was die Großen seiner Zunft hervorgebracht haben, skizziert, wo er geht und steht, stürzt sich, nach Dresden zurückgekehrt, in die Arbeit. Der Kurfürst gönnt ihm keine Pause, lädt ihm den Zeichentisch voll: das neue Schloss, die Orangerie, ein Palais für August Friedrichs neue Mätresse . . .
Kurfürstin Christiane Eberhardine, Friedrich August dem Ersten rechtmäßig angetraut, hat ihren Gemahl mit einflussreichen Geliebten teilen müssen. Einen besonderen Rang nimmt Anna Constantia von Hoym ein, spätere Gräfin von Cosel. Im August 1705 bezieht sie ein Haus auf dem Taschenberg. Friedrich August hat ihr ein luxuriöses Palais versprochen. Pöppelmann ist gefordert wie nie, bringt Begabung und Wissen ein beim Entwurf eines hochherrschaftlichen Stadtpalais gleich neben dem Schloss: „des Coselischen Hauses, und wer hereinkam, der glaubte, ein Zauberwerk vor Augen zu haben.“
Ein Sommernachtstraum à la Versailles
Doch Friedrich August, dem zur Maßlosigkeit neigenden Visionär, schwebt weit Größeres vor, und Pöppelmann gibt Denkanstöße, an denen sich beide berauschen: ein weiträumiger höfischer Turnierplatz mit Lustgarten, gesäumt von einem bis zur Elbe reichenden Ensemble von Gebäuden, Kolonnaden, Terrassen, Skulpturen und Wasserspielen – Glanz und Machtfülle der wettinischen Dynastie in Architektur und Kunst gefasst. Ausgeführt in Elbsandstein, dem urheimischen Material, das sich kostengünstig auf der Elbe heranschaffen lässt. Von 1711 an arbeiten Pöppelmann und der Bildhauer Balthasar Permoser an dem Mammutprojekt, das alles bis dahin Gebaute hinter sich lassen sollte: am Dresdner Zwinger.
Und der Kurfürst drängt. Der Zwinger ist ausersehen als Festplatz für die Feierlichkeiten zur Hochzeit des Sohnes und Thronfolgers, Friedrich August II., mit der habsburgischen Kaisertochter Maria Josepha. 1719 ist es soweit. Vier Wochen lang wird in prunkvoller Umgebung gefeiert. Danach ist die Staatskasse leer. Aber Dresden besitzt nun Barock-Baukunst von europäischem Rang: den Zwinger, Pöppelmanns Hauptwerk.
Der Kurfürst lässt seinen Architekten nicht ruhen. Sein Blick ist jetzt nach Pillnitz gerichtet, zehn Kilometer elbaufwärts. Die Vorgeschichte: Friedrich Augusts Mätresse, die Gräfin Cosel, war in Ungnade gefallen. Sie musste Dresden verlassen, man wies ihr Gut Pillnitz als ständigen Aufenthaltsort zu. Es kam zum Zerwürfnis, das ins Politische mündete. Die Gräfin wurde gefangengesetzt und, bis an ihr Lebensende, auf die Burg Stolpen verbannt. Im verwaisten Pillnitz, in traumhafter Lage zwischen Elbe und Weinbergen, mit weichem, fast südländischem Licht, wünscht sich Friedrich August ein Lustschloss. Pöppelmann zeichnet die Pläne für zwei fast identische Bauwerke, elbseitig das dem Stil venezianischer Paläste verwandte Wasserpalais, ihm spiegelbildlich gegenüber das Bergpalais. Zur Gartenseite beide Bauten mit Stilzitaten palladinischer Villen. Von 1720 bis 1724 wird das viel bewunderte Ensemble errichtet.
August dem Starken galt nur das königliche Format
Der Kurfürst und König liebte den alles überragenden Auftritt, und Pöppelmann ging ihm dabei zur Hand. Als sich Friedrich August auf den Wettstreit mit den Kurfürsten der Pfalz einlässt, wer das imposantere Weinfass besitze, zimmern seine Sachsen auf der Festung Königstein ein 238000-Liter-Fass, und Pöppelmann entwirft die Schmuckarchitektur drum herum. Und als Friedrich August beschließt, seine zwanzigtausend Gäste beim Zeithainer Lustlager im Jahre 1730 mit einem 36 Zentner schweren Dresdner Stollen zu beköstigen, konstruiert sein Baumeister Pöppelmann den Ofen für das alle Formen sprengende Backwerk.
Wer sich auf Pöppelmanns Spuren begibt, bekommt viel Schönes zu sehen: den Zwinger, Japanisches Palais und Dreikönigskirche in Dresden-Neustadt, die Pillnitzer Palais, dann aber auch die Schlösser Großsedlitz und Gradlitz, Stift Joachimsstein, das Jagdschloss Moritzburg. Das Dresdner Residenzschloss hingegen, dessentwegen ihn der Kurfürst aus der Anonymität seines Bauamt-Daseins gehoben hatte, hat Pöppelmann nur im Kopf und in einem Berg von Plänen erneuern können. Die Ausführung blieb ihm versagt, einem Dienstherrn fehlte schließlich das Geld.
Matthäus Daniel Pöppelmann starb am 17. Januar 1736 in seinem Haus in der Dresdner Schlossgasse. Der Baumeister des Königs wurde in der Gruft der Matthäuskirche beigesetzt. Die Nachwelt rühmt Pöppelmann als Barockarchitekten von europäischem Rang. Wie er ausgesehen hat, ist uns nur mit der Fotografie eines Medaillon-Bildnisses überliefert, das 1945 im Stadtmuseum verbrannte. Es zeigt einen Mann von etwa fünfzig Jahren mit Perücke und weißem Halstuch. Die Gesichtszüge sanft, der Blick in die Ferne gerichtet. Das Porträt eines Ästheten und Künstlers.
REISETIPPS von Günther Dressler:
Bahn-Anreise: ICE bis Dresden-Neustadt Hbf oder Dresden Hbf
Unterkunft: Schloss-Hotel Pillnitz (4 Sterne); Jahres-Special „Vier für Drei“ (vier Übernachtungen mit opulentem Frühstück, drei bezahlen), 187,50 € p. P. im Doppelzimmer
www.schlosshotel-pillnitz.de
Shuttle-Taxi vom Bahnhof zum Hotel: 22 €,
Straßenbahn/Bus vom Bahnhof nach Pillnitz, Tagesticket 5 €
Ausflüge: nach Dresden Zentrum mit Straßenbahn/Bus oder ins Elbsandsteingebirge mit S-Bahn, Familienticket 7 € (gültig für alle Verkehrsmittel des Verbundes Oberelbe) oder mit Raddampfer, Ziele und Preise siehe www.saechsische-dampfschiffahrt.de
Unbedingt besuchen: Zwinger mit Gemäldegalerie Alte Meister (Sixtinische Madonna) und Porzellansammlung, Grünes Gewölbe im Residenzschloss, Wasser- und Bergpalais Schloss Pillnitz (Kunstgewerbemuseum)
www.dresden-tourist.de
www.saechsische-schweiz.de
Zum obigen Bild:
Schloss Pillnitz an der Elbe, Bergpalais, erbaut 1722–1724 nach Plänen von Daniel Matthäus Pöppelmann (heute Kunstgewerbemuseum) - Foto: Günther Dressler |