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Mittwoch, 1. Mai 2024
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Karlsruhe: Mit konsequenter Haltung urbanes Leben gestalten
Fachexkursion des Planungsausschusses zu Wohnen und Mobilität
Zoo Zürich als Naturschutzzentrum

Zürich wächst - durch nachhaltige Stadtentwicklung. Bei knappen Flächen und zugleich enormem Siedlungsdruck. Raumplanerische Vorgabe ist, bis 2040 für rund 80.000 Menschen neuen qualitativen Wohnraum zu schaffen. Welche Konzepte Zürich verfolgt, wie der planrechtliche und strategische Rahmen und der Beteiligungsdialog mit der Öffentlichkeit aussieht, war letzte Woche Thema eines Erfahrungsaustauschs des gemeinderätlichen Planungsausschusses mit Fachkolleginnen und Fachkollegen in Zürich. Der geführte Rundgang durch den Zoo Zürich wiederum diente der Reflexion für den Masterplan Zoologischer Stadtgarten Karlsruhe.

Für den urbanen Entwicklungs-Dreiklang aus verdichteter Wohnraum, Gestaltung von Freiräumen und stadtverträgliche Mobilität „habe ich einige positive Anregungen mitgenommen“, betonte Bürgermeister Michael Obert nach drei Tagen „Züricher Stadtentwicklung in Theorie und Praxis“ - mit dem derzeit größten Entwicklungsgebiet Zürich-West, mit Neu Oerlikon und Glattpark, dem Genossenschaftsprojekt Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite sowie den übergreifenden Leitlinien Verkehrskonzept, Stadtraumgestaltung, Hochhauskonzept.

Ringen um lebendige Quartiere

Zürich, halb so groß wie Karlsruhe, aber rund ein Drittel mehr Einwohner, „habe eine bemerkenswert lebendige und vielseitige Planungskultur“, so Obert. „Wir haben hier das Ringen um lebendige Quartiere gesehen“, bilanzierte Stadtplanungsamtsleiterin Prof. Dr. Anke Karmann-Woessner. Sie sei von der „konsequenten Haltung“ begeistert, mit der Lösungen angegangen werden. Man habe aber auch einiges gesehen, „wie wir es nicht machen sollten“, fügte Obert eine andere Erkenntnis der Exkursion an. Hierzu zählten für ihn „Großstrukturen und öffentliche Räume, die sehr steril seien“. Auch Karlsruhe wächst, weshalb „wir dringend neue Baugebiete benötigen und unbedingt in die Höhe bauen müssen“, erläuterte Hermann Brenk, wo die CDU-Stadträte in Zürich besonders intensiv hingeschaut haben. In der Umwandlung alter Industriegebiete und der Nachverdichtung von Wohngebieten sah Michael Zeh (SPD) die künftige Herausforderung. Und: Der genossenschaftliche Wohnungsbau sollte „als Ergänzung der Fördermaßnahmen gestärkt werden“. Dem Genossenschaftsgedanken möchte auch Sabine Zürn (LINKE) mehr Stellenwert einräumen. In Zürich spüre man, dass dieser einer Stadt gut tut: „Viele denken mit, nützliche stadtplanerische Denkpausen und große Akzeptanz für Entscheidungen“, zählt sie als Mehrwert auf.

Bei allen guten Lösungen im Detail ist Zürich für Stadtrat Tom Høyem (FDP) „zu männlich, die Stadt hat für einen Dänen zu wenig Geschichte, Fleisch und Blut – zu wenig weibliche Wärme.“ Für Stadtrat Jürgen Wenzel (FM) wiederum „ist Zürich eine der saubersten Städte, die ich je gesehen habe. Sie strahlt eine unglaubliche Geborgenheit und Sicherheit aus.“

Auf das Verkehrsmanagement fokussiert Stadttrat Alexander Geiger (GRÜNE) eine wesentliche Erkenntnis, die mit nach Hause genommen wird: „Uns beeindruckte am meisten in Zürich, dass es in weiten Teilen keine Parkplätze im öffentlichen Raum und keine Autos auf den Gehwegen gibt.“ Rund 48 Prozent der Züricher Haushalte ist mittlerweile autofrei. Die Mobilitätsstrategie „Stadtverkehr 2025“ will die Autodominanz der Verkehrsinfrastruktur für die stadtverträgliche Mobilität korrigieren und optimieren. Rückgrat ist ein dichtes ÖPNV-Netz, der Radanteil ist noch ausbaufähig. Zum Projekt aus jüngerer Zeit gehört die zweieinhalb Kilometer lange Glattalbahn. Sie wurde kooperativ anhand von Leitlinien gestaltet. Das Bahnprojekt mit Städtebau hat die de facto bereits dynamisch zusammenwachsenden Gemeinden im Glattal durch diese gemeinsame Aufgabe zusammengebracht.

Bei der Gestaltung öffentlicher Freiräume faszinierten zwar prägende Freiraum-Projekte wie das „Park-Haus“. Der "MFO-Park“ in Neu Oerlikon mit seinen relativ großen neuen Bauvolumen besteht im Wesentlichen auf knapp einem Hektar Grundfläche aus einem mit Kletterpflanzen bewachsenen 17 Meter hohen Gerüst mit Sonnenterrasse. Der Stadtraum sei sehr gut gepflegt, die ausgewiesenen Freiräume auf dem in Umwandlung befindlichen Industriegebiet mit einem Mix aus Wohnen, Gewerbe und Dienstleistung sowie Kultur begriffenen ehemaligen Industriegebiet, „haben jedoch mehr Potential für einen ökologischen und auch sozialen Stadtraum“, meinte Gartenbauamtsleiter Helmut Kern. Natürlich sei Asphalt von „Haustür zu Haustür“ einfacher in der Unterhaltung, so Tiefbauamtsleiter Gerhard Schönbeck. Auf ihn wirke diese immer gleiche Oberfläche für Straße, Gehweg oder Platz aber etwas kühl. Der Karlsruher Ansatz, verschiedene Oberflächen zu wählen, ist „so schlecht nicht".

Guter Gestaltung den Weg bereitet

Das größte Entwicklungsgebiet ist Zürich-West, das seit 15 Jahren in kooperativer Planung unter dem Dach von Leitlinien und Entwicklungskonzepten transformiert wird. Momentan befindet sich das Gebiet ungefähr in der Halbzeit, die Leitplanken sind gesetzt. Bewusst etabliert wurden hier im Prozess zur Belebung und Durchmischung auch Zwischennutzungen, etwa die Containersiedlung „Basislager“.

Kaum Flächenreserven – und dennoch mit innerem Wachsen ansprechenden Stadtraum gestalten: Spannend sei hier die Diskussion zu Instrumenten gewesen, mit denen Zürich der Qualität den Weg bereitet, fand Karmann-Woessner. Etwa bei der „arealen Bebauung“: Hier ist dann eine höhere Ausnutzung möglich, wenn es nach klar definierten Kriterien eine gute Architektur ist. Oder die Bedeutung, die Zürich der Gestaltung bei neuen Projekten beimisst: Rund 800 neue Vorhaben werden in Zürich jährlich auf ihre Gestaltungsqualität hin bewertet. Der Beurteilungsrahmen sind für alle transparent nachvollziehbar und in der öffentlichen Diskussion verankert. Jedes zehnte Vorhaben wird als städtebaulich besonders herausragend angesehen. Für diese gibt es ein Beurteilungsverfahren durch ein mit Zürichern und Nicht-Zürichern besetztes Fachgremium. Wer hier nicht überzeugt, kann sein Vorhaben so nicht umsetzen.

„Urbanität braucht Zeit“, war von den Züricher Kollegen unter anderem aus dem Hochbaudepartement oder Amts für Städtebau immer wieder zu hören. Zeit für den Findungsprozess mit der Öffentlichkeit, für die Verankerung in Konzepten– und letztlich in der Bewährung in der Umsetzungsphase hin zu (wieder)belebten Quartieren.

Genossenschaftliches Wohnen hat bei den Eidgenossen eine lange Tradition, ist in der Wohnungspolitik fest verankert. Ein Vorzeigeprojekt ist die vor einem Jahr fertiggestellte Kalkbreite. Ein Genossenschaftskomplex mit programmatischer Vielfalt und konsequent autofrei. Auch dieses waghalsige Nutzungskonzept aus Arbeiten für rund 200 Personen, Wohnen mit Gemeinschaftsfläche für 250 Menschen unterschiedlicher Einkommen, Altersgruppen oder auch Haushaltskonstellationen stand auf dem Besichtigungsprogramm. Die Idee, die neue Tram-Abstellhalle in neun Meter Höhe zu überbauen, sei faszinierend, meinte nicht nur Obert. Zustimmung aus der Karlsruher Runde auch zum Selbstverständnis des Projekts: Wir wollen bezahlbaren Wohnraum, aber nicht billig bauen.

Naturerlebnis Zoo: Wenn Tiere einem Beruf nachgehen und Besucher Wissen sehen und spüren

Eindeutig positiv fiel das Resümee am Samstag nach dem Besuch des Zoos Zürich aus: Die an vielen kleinen und großen Facetten ablesbare Grundhaltung des „Naturschutzzentrums Zoo“ nehme man ausgesprochen bereichernd für die weitere Arbeit am Masterplan Zoologischer Stadtgarten mit, waren sich Stadträtinnen und Stadträte sowie die Amtsleitungen aus städtischen Fachdienststellen einig. „Der Zoo Zürich zeigt beispielhaft, wie man die Tiere im Zoo als Botschafter ihrer Art mit konkreten Erhaltungsprojekten in der Natur verknüpft – mit vielfältigen Beispielen für die Besucher. Dies müssen wir in Karlsruhe konsequent angehen“, so Zooleiter Dr. Matthias Reinschmidt.

Auch wenn der Zoo Zürich seine Fläche bis 2020 auf 28 Hektar vergrößern wird und damit im Vergleich zu 2006 nahezu verdoppelt: In der zur Verfügung stehenden Fläche allein liegt nicht der Schlüssel zum Erfolg der in Fachkreisen wie in der Öffentlichkeit geschätzten Züricher Sehenswürdigkeit. „Der Ort, wo der Stadtbürger mit der Natur Kontakt aufnimmt“ (Zoodirektor Dr. Alex Rübel) präsentiert sich – oft mit Kreativität und einfachen Mitteln - bis in den kleinsten Winkel als Erholungsraum, Informationsvermittler, Forschungs- und Naturschutzzentrum. Angefangen über das neue Besucherzentrum am Eingang über die Wegeführung und Gehegegestaltung bis hin zur Gastronomie. „Wir geben dem Tier seinen Beruf“, nennt Rübel es, wenn er den Fokus auf die Tierhaltung lenkt. In der Natur geht es um Futtersuche, soziales Verhalten und Feindvermeidung. Im Zootieralltag bilde dies der Zoo Zürich bei der Tierhaltung ab. Wobei sich Feindvermeidung im Sinne von Aufmerksamkeit wecken insbesondere über die Vergesellschaftung von Tieren etablieren lässt.

Sein Erfolgsrezept - für die öffentliche Wahrnehmung und die wirtschaftliche Seite - fasst Rübel zusammen mit: „Klar sagen, wohin wir gehen. Und so machen wir alle zu Unterstützern des Zoos Zürich."

zum Bild oben:
Zürich-West: Turbinenplatz. Bewusst wurde hier auf eine "raue Industriegestaltung" gesetzt. Im Vordergrund das Regenrückhaltebecken.
 
Eintrag vom: 08.10.2015  




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